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Der grüne Traum

Ich bin mit zwei Männern unterwegs. Vater und Sohn? Gott und Jesus? Sie zeigen mir eine Welt, die sehr weit und leer ist, eine Art Prärie. Eine Fläche, die wir von oben sehen, wie eine lebendige Landkarte, die sich zum Horizont hin leicht wölbt und verliert. So eine wie man sie in Fantasy-Büchern findet, um deren fremde Welt zu erklären. Nur dass diese lebt. Und im Maßstab 1:1 ist.

Dinge geschehen dort. Es gibt Superhelden dort. Bin ich auch ein Superheld? Und wenn ja, weiß ich davon?

Es ist ein weites Feld, diese Welt, die ich von oben sehen kann. An ihrem entfernten Rand sind Erhebungen. Siedlungen? Ziele?

Es werden Kämpfe geführt, alte Schlachten von kleinen Gruppen, die sich im hohen sanften Gras bewegen, ohne einander zu sehen, aber ich sehe sie von hier oben. Es sieht schön aus, archaisch und komponiert. Ohne Ziel. Es ist kein Krieg, es sind auch keine Überfälle. Es ist ein wenig wie auf einem Meer, auf dem Flotten ziehen, und wenn sie sich treffen, müssen sie kämpfen, um weiterziehen zu können. Es ist ihre Natur.

Es gibt welche, denen diese Kämpfe nichts anhaben können. Auch weil sie allen anderen aus dem Weg gehen, ihre eigenen Bahnen ziehen in diesem grünen Wogen. Sie bewegen sich einzeln, höchstens zu zweit, so wie meine beiden Begleiter, nur dass sie da unten sind. Bin ich einer von diesen? Ein Seher? Zumindest bin ich an diesen Kämpfen nicht beteiligt, sehe alles nur von oben.

Da ist ein Unverwundbarer, der sein Ding macht, und da sind die anderen, die weiter machen mit ihren Kämpfen. Würden sie auf diese Unverwundbaren treffen, könnten die ihre Ordnung stören, sie verstören, vielleicht etwas zerstören. Die Unverwundbaren sind einfach nur unterwegs auf ihrem Weg, sie machen.

Da ist nun eine Frau und ihre Tochter, sie sind aus dem All gekommen, auf einer kleinen Plattform mit Lenkstange wie bei einem Roller, ein elektronischer fliegender Teppich. Sie sind auf dem wogenden Gras gelandet wie Schwäne auf einem See und ziehen nun in aller Ruhe ihre zweispurige Bahn darin, eine Furche zwischen den Halmen, die von der tiefstehenden Sonne mit schwarzen Schatten gefüllt wird – oder ist das schon Vollmondlicht, amerikanische Nacht?

Von oben sieht man vor allem diese Bahnen, tief gekerbte Schwünge in das vom Wind bewegte Grün, die anders als die Wege der Kämpfer keine Haken schlagen oder zertrampelte Knoten bilden, sich manchmal fast berühren, selten kreuzen – aber dann sind die anderen schon weiter auf dieser lebenden Kontinentalkarte. Zusammen wirken sie wie eine Zeichnung, die langsam lebt.

Die Frau und die Tochter sind Schriftstellerinnen, sie leben ein bestimmtes Künstlerleben, aber nicht von ihnen bestimmt, so wie ihre Linien. Diese einzeln ziehenden Wesen, die unverwundbar sind und von weit her kommen, es sind Schriftsteller, Künstler.

Wir folgen den beiden auf unserem Beobachtungsposten hoch oben im Himmel. Sie ziehen auf einer völlig unberührten Linie nach Nordwesten, wo viele Linien zusammenkommen, die der Künstler wie die der Kämpfer, dort ist eine Stadt.

Wir sind nun in der Stadt, in den Straßen. Es ist Winter, es ist dunkel, es ist kalt, es regnet, viele laufen darin herum, streunen, frieren. Alle scheinen draußen zu sein, es ist eher ein Lager mit Häusern und Straßen. Keiner bleibt stehen, die Atmosphäre ist gedrängt, doch nicht ängstlich.

Keiner spricht, keiner hat miteinander zu tun. Alle scheinen etwas zu tun zu haben, und es passt zu ihnen, auch wenn sie es nicht gerne tun. Kein Grün mehr, kein natürliches Licht, keine Stille mehr, auch wenn ich nichts höre. Alles ist schwarzweiß, der Regen leuchtet in grellem Licht in der Nacht auf. Und auch wir sind nun mittendrin, nicht mehr darüber, bei abgedrehtem Ton.

Der Ältere meiner Begleiter sagt, sie wollten das hier beenden, es sei so hart für die Leute hier. Ich denke, diese Stadt ist der Punkt, wo alle sich sammeln, wenn es draußen unerträglich wird im Winter, wo Helden, Künstler, Kämpfer zu normalen Menschen werden, die einfach nur überleben wollen, einer wie der andere, jeder für sich. Ohne höhere Ziele, ohne Kämpfernaturen, ohne Teil eines großen Gemäldes zu sein.

Ich denke, vielleicht können meine Begleiter das gar nicht beenden, vielleicht überschätzen sie da ihre Macht und unterschätzen die Menschen hier und diese Stadt. Selbst wenn sie denen hier Sonne und Wärme geben würden, würde das nichts ändern. Denn diese Ruhelosigkeit kommt von ihnen. Von innen. Und hier gehört sie auch hin, lässt sich nicht ändern. Diese Stadt, die Zeit in ihr, gehört zum Prozess, in dem man sich hier in diesem dunkelgrünen Reich entwickelt.

Hier wirken die Personen lebendiger, menschlicher, freier, näher. Ja es ist kalt, dunkel, nass. Doch man kann etwas spüren, anders als in den Sphären hoch über den weiten grünen Flächen mit ihren komponierten Bewegungen.

Ich sage: “They are not homeless, they are spotless.”

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