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Unser Curry heißt Grie Soß

Ich war eine Pflanze. Würde ich sonst jeden Morgen nach dem Rolladenhochziehen erst einmal lange Richtung Osten blicken und später wie ein Krokus am Bahnsteig stehen, zur Sonne das Gesicht? Und wenn ich mittags rausgehe, dann erst mal um Licht zu schnappen. Vielleicht ist es am Ende nur die pure Lust auf Photosynthese, die mich zum Mittagessen treibt – „Tageslicht” als 13. Grund fürs Mittagessen?. Und vielleicht würze ich meine Essen deswegen viel lieber mit geschmackvollem Blattgrün von Ackerminze bis Zitronenmelisse statt mit getrockneten Samen, Wurzeln, Rinden?

Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass ich aus Hessen komme. Da wo man singt: „Unser Curry heißt Grie Soß”. Wo es in jedem Kleinstadtsupermarkt diese Päckchen gibt, in denen sieben Kräuter gebündelt sind wie in Madras die Gewürzmischungen. Nichts schmeckt für mich so sehr nach Frühling und Kleinsein wie ein Teller voll Grie Soß (= Grüne Soße, nie: Sauce) aus diesen Kräutern und Milchigem mit Kartoffeln, Eiern und manchmal noch gekochtem Rindfleisch als Beilagen. Die Hauptsache ist aber immer die Soße selbst, dieses kleine Geschmacksuniversum ist aus nichts geformt als Wiesengrün (ohne dass es ja auch keine ordentlich Milch von der Kuh gäbe).

Eigentlich ist die Grüne Soße ein Mittagessen für durchgewärmte Frühlingstage, wenn die Kräuter schon im Freien sprießen und sich die Kühe damit bereits ihre Milch fett und würzig fressen. Doch als jetzt nach Wochen im Tiefkühlschrank die Sonne kam und in der Küche eine große Portion Grüne-Soße-Kräuter lag (für alle Ex-Hessen: vom Kräuterstand Rottler am Viktualienmarkt), machten wir den Sonntag zum Gründonnerstag.

Die Sieben vom Sonntag (von oben links im Uhrzeigersinn): Borretsch, Sauerampfer, Zitronenmelisse, Petersilie, Bachkresse, Kerbel, Schnittlauch

Welche Kräuter gehören nun in die Grüne Soße? Da kann man streiten. Die Schwester meint, der Rottler-Bund wäre gefälscht, weil Dill drin ist. Die Stadt Frankfurt aber verschenkt in ihrem Fremdenverkehrsamt Grüne-Sauce-Samentütchen, in denen auch Dillsamen stecken. Was wiederum einen ziemlichen Aufstand zur Folge hatte wie man es in München nur von der Weißwurst und den Biergartenöffnungszeiten kennt. Ich bin zwar auch der Meinung, dass Dill zu sehr vorschmeckt (wie auch Estragon, Liebstöckel oder – niemals! – Basilikum) und lasse ihn daher einfach weg, freue mich über den korrekten Rest vom Rottler: Petersilie und Schnittlauch als Basis, der gurkig-würzige Borretsch mit dem rauen Flaum und Sauerampfer als wichtige Ergänzung, dann Zitronenmelisse zum Verfeinern. Plus Kerbel, der für mich einfach sein muss. Und Pimpinelle, die aber noch nicht zu kriegen ist. Allerdings habe ich auch schon mit einer Petersilien-Schnittlauch-Kerbel-Soße eine hessische Deutschlehrerin in Virginia rühren können.

Was kommt noch rein? Milch bzw. die Ableger davon – meine Favoriten sind Dickmilch und Saure Sahne oder der fettere Schmand, also all das, was man bekommt, wenn man ganz frische Kuhmilch und -sahne ein, zwei Tage in der Küche stehen lässt. Wichtig ist, dass die Soße nicht zu sauer und zu dünn wird, was beides gegen Joghurt spricht und für etwas Mayonnaise, die dazu dem Geschmack Substanz gibt. Die Grundformel vom Sonntag (für 6-8 Leute): 4 Hände voll Kräuter, je 500 g saure Sahne und Dickmilch, 100 g Mayonnaise plus 3 zerstampfte hartgekochte Eier, 2 TL Senf, Salz, Pfeffer. Und Maggi. Muss sein.

Die Kräuter werden kurz gewaschen, wenn sie sehr schmutzig sind und wirklich gut trocken geschleudert (geht gut in der Salatschleuder), damit beim Hacken nichts wegläuft. Kann man nicht auch mixen? Davon halte ich hier noch weniger als beim Pesto. Weil das die Kräuter schnell bitter macht und das Zusammenspiel der verschiedenen Geschmäcker in einem Brei auflöst – der Grasgrünen Sauce. Für mich gehört das Kräuterhacken sogar zum Schönsten bei der Zubereitung. Dazu werden die groben Stiele entfernt (Borretsch, Sauerampfer, Petersilie, Pimpinelle), dann das Brett ganz leicht feucht gemacht, damit es keinen Saft aufsaugt. Nun eine Hand voll Kräuter drauf und ein langes breites Messer nehmen, bei dem die Faust um den Griff beim Hacken nicht aufs Brett stößt. Die andere Hand auf die Spitze legen und loshacken – Spitze bleibt am Brett, Griff geht rauf und runter, Messer wandert hin und her über die Kräuter, die immer mal wieder zusammen geschoben werden. Das duftet, sage ich Euch!

Jetzt geht’s schnell: Alles verrühren, erst mal leicht salzen und 2 Stunden in der Küche ziehen lassen. Zeit genug, um ein bisschen Boccia in der Sonne zu spielen und schließlich einen Topf mit Salzkartoffeln aufzustellen. Keine Pellkartoffeln? Nein, weil die ohne Schale gekochten besser matschen sowie saugen und ich mich ganz aufs Eierpellen konzentrieren kann – denn Grüne Soße mit kalten Eiern ist wie Sushi mit Reis von gestern.

Daher: Kurz naschen, ein wenig mischen, schließlich – matschen. Auf dass das Kräuteraroma durch die Wärme von Ei und Kartoffeln in Höhen gehoben wird, die so licht und rein wie ein Frühlingshimmel sind. Ooommmmmm … Ich bin eine Pflanze.

P.S.: Ein Alle-Tag-Grundrezept für Grüne Soße (wie auch für perfekte Salzkartoffeln und 8-Minuten-Eier) steht in meinem neuen Buch „Wie koch’ ich…?”. Mit dem ich hier gar nicht mehr groß rumnerven will, aber da ist dieser Bericht von delicious:days über unseren Workshop bei der Präsentation, in dem die Sonne so heftig scheint … Schaut am besten selbst.

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