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ANSICHTSKARTEN: Bonjour Paris. Willkomen bei den Klischees

Was macht der Deutsche, wenn er ins Ausland fährt? Er nimmt sich was zum Essen mit, das er kennt. Und so haben wir Brot und Schinken dabei, als wir Mitte September mit dem TGV nach Paris rauschen. Also einen Koffer voll Bauernkruste vom Bäcker Schmidt. Und eine Bananenkiste voller Räucherschinken aus dem Schwarzwald. Eigentlich wollten wir noch ein paar Liter Schlagsahne mitnehmen, weil die in Frankreich nicht richtig steif wird. Aber mei, da machen wir dann halt noch ein bisserl Créme Fraîche dazu, dann wird das schon.

Paris von oben bis unten

Natürlich, so ein schönes Baguette, in dem ja dann auch ein bisschen Sauerteig steckt, mit dem wunderbaren Schinken aus Bayonne, das ist auch was Feines. Aber für so was muss uns das Goethe Institut nicht nach Paris einladen. Das hatte nämlich nach kochenden Botschaftern gesucht, die für deren kulinarische Filmnacht was Interessantes zu essen auf gut Deutsch machen.

“Lassen Sie sich inspirieren!” hatte Isabel Habicht am Telefon gesagt, die das alles organisierte und die ich damals noch für eine fröhliche Französin mit ganz leichtem Akzent in ihrem perfekten Deutsch hielt. “Magst des net machen?” hatte mich zuvor Katharina “Esskultur” Seiser gefragt, die den Goethes empfohlen worden war, aber halt aus dem Land von Grillparzer und Kaiserschmarren kommt. Natürlich wollte ich, und mein Assistent auch, der dazu mein Sohn ist, gerade frisch volljährig und damit bereit für die große weite Welt.

Leben und genießen (von rechts nach links): Deutscher Speisewagenkaffee, ein Koffer voll Bauernbrot, französischer Speisewagencroque und cafe & eclair wie im Film.

Tja, und was sollen wir sagen, die tut dann gleich einmal ihr Bestes, als wir ankommen: Von unserem Hotel kann man in die Sorbonne spucken, und als wir nach dem Brotkoffer- und Schinkenkistenabladen wieder auf die Straße treten, um noch einen Kaffee zu trinken, kommt uns bald eine Ente übers in gelbem Schweinwerferlicht glänzende Kopfsteinpflaster entgegengehoppelt.

Dahinter tut sich ein Platz auf, der mich erst mal nach Woody Allen oder wenigstens ein paar Filmkameras suchen lässt: In der Mitte eine Rondell mit Platanen, Springbrunnen und ein, zwei Clochards, drumherum Café-Terrassen wie aus dem Bilderbuch mit Menschen wie Schauspielern auf den Stühlen. Wir bezahlen dann auch für unseren Kaffee so viel wie für zwei Kinokarten, aber hey, Paris? Quartier Latin?

Muss ich noch sagen, dass ich am nächsten Morgen meinen Bettflüchterkaffee neben zwei Müllmännern am Zinktresen nehme, während im Radio “La vien en rose” läuft? Und dass ich draußen plötzlich genau vor dem Schreibwarenladen stehe, in dem ich vor über 30 Jahren einen Superhampelmann gekauft habe, als ich als Teenager mit meiner Mutter in Paris war? Die Verkäuferin hatte mich gefragt, wo ich herkomme, und auf mein “Austria” kleine Hüpfer gemacht wie ein Känguruh – sie hatte “Australia” verstanden.

Von Café zu Kaffee (von rechts nach links): am Zinc mit Müllmännern, in den Gassen von Paris, vor der Sorbonne, bei der Arbeit mit Goethe.

Der Älteste ist nicht weniger beseelt, als wir auf dem Weg zum Goethe Institut die Seine entlang fahren und alles Pracht und Sonne ist – ein klein wenig gelingt es mir, das mit seinen frischen Augen zu sehen. Bilder macht er aber keine, denn er hat nur acht dabei – Polaroids, die wohl gesetzt werden mussten in diesen Tagen. Was soll ich sagen…

Von da an läuft alles auf Schienen: Isabell Habicht entpuppe sich als fröhliche Deutsche, die selbst an einem wunderbaren Kochbuch mit den Müttern ihrer Freunde arbeitet (und noch einen Verlag sucht, große Empfehlung, auch zu ihrem Blog dazu). Uns zur Seite steht dazu Martina, Praktikantin bei der Deutschen Botschaft, werdende Anthropologin und ausgebildete Hotelfachfrau, der das Zupacken im Blut liegt.

Und so gehen wir es an wie Moritz Bleibtreu in “Soulkitchen”, als er die Platte im Lokal seines Bruders auflegt, sich auf den Hinterschinken haut und die Party geht ab. Davon habe ich mich inspirieren lassen und mir einen Schinkentatar ausgedacht – Schwarzwälderstreifen mit Schnittlauch und Senfkörnern, in die sich ordentlich Cognac reingekocht hat. Dazu gibt’s Pain Frittes, Fritten aus Bauernbrotstreifen, die am Abend nur noch mal kurz in den Ofen müssen. Und dann noch Traubengrütze mit Wundermousse, so ein bisschen wie die im Film.

Highlight & Arbeit (von links nach rechts): Meeresfrüchte zu Mittag, Tatar&Frites im Akkord, mein Highlight – als wir nach dem Kulinarischen Kino zur Seine liefen und plötzlich der Eiffelturm zwischen den Platanen hervorkam, war ich ganz still und stumm wie man sich einen Touristen nur wünschen kann – manches bleibt über alle Fotos und Ansichtskarten der Welt erhaben.

Französisch auf gut Deutsch also. Und ohne Stress, weil – Paris? Soulkitchen? Savoir vivre? Das pflegen wir bei einem anständigen Mittagessen in der nahen Brasserie Waknine, das der Älteste später als einen der beiden Höhepunkte der Reise bezeichnen wird. Was soll ich sagen…

Einige Stunden später sitze ich in der Ausgehschürze auf dem Podium im Kino des Instituts, wo wir Ausschnitte von “Das große Fressen” bis “Brust oder Keule” sowie natürlich “Bella Martha” und “Soulkitchen” sehen; und natürlich stellt sich Isabel Habicht die Frage, warum es eigentlich keinen deutschen Kochkultfilm mit deutscher Küche gibt, wozu der Historiker Vincent Chenille, der Soziologe Daniel Kofahl und ein germanophiles Publikum über Film und Essen diskutieren, wie man es wohl nur in Paris tun kann. Und dann gibt’s Tatar, Frites & Mousse mit Schwarzwälder, Bauernkruste & Grütze und alle sind glücklich, glücklich, glücklich.

Bunte Mischung 1 (von rechts nach links): Das Werden der Wundermousse, Koffein à la Goethe, Galettes mit Cidre in Tassen, Kaffee mit Verliebten

Wir auch noch am nächsten Tag, an dem es zwar durchregnet, aber dafür stehen alle Monumente an diesem Wochenende offen und die Lokale sowieso. Als wir dann am Abend vergeblich einen alten Bibliotheksbau ansteuern, flüchten wir vorm Regen in eine kleine Bilderbuchpassage, an deren Ende das Bilderbuchbistro Vivienne liegt, in dem wir (natürlich) Tatar mit Fritten und eine Mousse wie aus dem Bilderbuch essen (mit gesalzener Butter und Karamell drin). Das war der andere Höhepunkt für den Ältesten.

Bilder davon? Gibt’s keine – die Polas waren alle und mein Handy auch. Aber wir wissen ja, wenn man keine Bilder macht, ist es oft am schönsten. Und Paris ist ja eh eine einzige Ansichtskarte – an unseren drei Tagen war es das auf jeden Fall.

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